»Plötzlich hat einfach alles gestimmt«
Ronnie Rohrecker ist in Salzburg zur Welt gekommen und verfasst unter anderem Limericks. Im Sommer hat sier das traditionelle walisische Lied »Defaid William Morgan« in den Salzburger Dialekt übertragen und im Zuge unseres Online-Projekts »Österreich Hören« gemeinsam mit siers Freund*innen Liliana und Rave vertont.
Im Zuge unsere Salzburg-Schwerpunkts haben wir Ronnie Rohrecker ein paar Fragen gestellt ..
Liebe*r Ronnie – Wie bist du eigentlich dazu gekommen, im Dialekt zu schreiben?
Ich glaub, das Erste, was ich im Dialekt geschrieben hab, war eine Reihe von Limericks. Ich war da mit einer sehr lieben Freundin auf einer Alpenüberquerung und hab meinen Reiseführer zu ernst genommen, der behauptet hat, für (weitere) Bücher sei kein Platz im Rucksack und es sei sowieso viel geiler, sich mit den Leuten zu unterhalten, die mensch auf den Hütten trifft. (Spoiler Alert: Das ist was für Leute, deren Hirn pausenlos neue Eindrücke aufnehmen kann, da gehör ich absolut nicht dazu!)
Die Entscheidung, kein Buch mitzunehmen, hab ich spätestens am zweiten Abend bereut und das Einzige, was mir geholfen hat, zwischendurch von den vielen erlebten Dingen ein bisschen runterzukommen, war, selbst was zu schreiben. Ich hab das dann auch während dem Gehen gemacht, da haben sich mit einem kurzen, klaren Rhythmus und dem fürs Merken sehr hilfreichen Endreim schnell Limericks als Wahlform meines Ausdrucks herauskristallisiert. Als kleine Herausforderung hab ich's nach dem Englischen auch auf Schriftdeutsch versucht – das war ein ziemlicher Reinfall, alles hat irgendwie gestelzt und unnatürlich geklungen … Und dann bin ich auf Dialekt umgeschwenkt und plötzlich hat einfach alles gestimmt. Das hat so gut zusammengepasst, die Leichtigkeit, mit der sich die Wörter verbinden, die Mündlichkeit – Limericks sind ja vor allem da, um vorgetragen oder zumindest vorgelesen zu werden –, stellenweise auch die erforderliche Unverfrorenheit … Mir ist vor kurzem aufgefallen, dass ich auf Hochdeutsch vieles kann, aber glaubhaft schimpfen gehört wirklich nicht dazu! Und während ich so reimend und gelegentlich Obszönitäten von mir gebend über Bergbäche gehüpft bin, ist mir klar geworden, dass manche Texte nur in einer Sprache funktionieren, die einerm tatsächlich als Alltagssprache dient.
Du warst diesen Sommer in Wales, bist dort über ein Lied gestolpert und hast dich entschieden, es in den Salzburger Dialekt zu übertragen. Wie kam es dazu?
Das Lied heißt im Original »Defaid William Morgan« also »Die Schafe des William Morgan« und handelt von einer rebellischen Schafherde, die ihren menschlichen Nachbar_innen in irgendeinem walisischen Ort das Leben schwer macht, weil kein Zaun sie halten und weder Hunde noch Polizisten sie davon abschrecken können, den Leuten ihre Gärten leerzufressen. Besonders schön finde ich, dass den Schafen nichts passiert, sondern die Auflösung des Ganzen ist, dass sie im Sommer ein paar Monate in den Bergen verbringen, wodurch den Menschen eine Verschnaufpause von den frechen Schafen vergönnt ist.
Zwei Dinge für die ich mich sehr begeistern kann, sind revolutionäres Liedgut und Sprachen und jedes Mal, wenn ich länger als ein paar Tage wo zu Besuch bin, wo Leute eine andere Sprache sprechen als Deutsch oder Englisch, versuch ich, sie dazu zu überreden, mir ein neues Lied beizubringen. Diesen Sommer war das eben »Defaid William Morgan«, das eine sehr in die walisischen Sprach- und Befreiungskämpfe involvierte Freundin für mich ausgegraben hat.
Ich hab dann immer das Bedürfnis, die Lieder zu übersetzen, damit andere Menschen sie auch leicht verstehen und singen können. Meist mach ich das auf Standarddeutsch, weil ich da meinen ganzen Arbeiter_innenliederpathos auspacken kann, aber dieses Lied hat mich so sehr an die Hirtaliada meiner Kindheit erinnert, dass mir klar war, das wird nur in einer Dialektversion so richtig gut.
Deswegen ist dann natürlich aus dem Schäfer William Morgan auch der Morgan William geworden.
Hast du Vorbilder?
Ich mag es, wenn literarische Texte sich lesen, als wären sie eigentlich aus einer oralen Erzähltradition. Wenn sie so klingen wie Leute reden und wie Leute es auch verstehen, aber auch so, dass mensch merkt, dass da rhetorische Kniffe verwendet werden, die seit Generationen erprobt und verfeinert worden sind. Ich mag Bücher, bei denen mensch gar nicht anders kann, als sie vorzulesen, und so schreib ich auch gern, mit vielen Wiederholungen, Alliterationen, mit bewusstem Rhythmus …
Eine Autorin, deren Stil ich sehr bewundere ist die Kanadierin Kai Cheng Thom. Letztes Jahr hab ich auch Jean Giono für mich entdeckt, als ich »Regain« gelesen hab. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, eine Person aus der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, erzählt mir eine Geschichte – und das obwohl das Buch auf Französisch war! Naja und was richtig gute Dialoge angeht, komm ich immer wieder zurück zu A. A. Milne beziehungsweise Harry Rowohlt und ihren jeweiligen Versionen von »Winnie the Pooh« Die Übersetzung war die erste Audiokassette meiner Kindheit und wenn ich heute mal zur Entspannung wieder »Pu der Bär« lese, dann hör ich die Stimmen der Bewohner_innen des Hundertsechzig-Morgen-Walds immer noch so, wie von Harry Rowohlt eingelesen.
Und was liest du jetzt gerade?
Ich hab mir diesen Herbst in einem kleinen Marathon fünf Bücher von Akwaeke Emazi reingeknallt. Dann hab ich alle Jane Austen–Romane wiedergelesen – scheinbar lass ich mich gern auf eine_n Autor_in komplett ein und komm erst wieder raus, wenn ich durch alle Werke durch bin, die mir gerade zur Verfügung stehen – und ein paar lang unveröffentlichte (und deswegen uneditierte) Schnipsel, die allerdings eher linguistisch als literarisch interessant waren … Und zuletzt war »Fun Home« dran, ein Comicband von Alison Bechdel, war allerdings nicht so fun, der Titel bezieht sich auf das Bestattungsunternehmen (Funeral Home) der Familie und es geht vor allem um die heimliche Homosexualität und den frühen Tod Bechdels Vaters. Also keine leichte Kost, aber sehr lesenswert, vor allem für Menschen, die historische und/oder aktuelle politische Comicbücher ähnlich lieben wie ich. Ich glaub, es gibt kaum was, was ich so verschlingen kann, wie gut recherchierte historische Forschung, die möglichst niederschwellig zugänglich gemacht wird – durch Bilder oder wörtlich eingebaute Zeitzeug_innenberichte. Und am schönsten ist es, wenn dabei Leute zu Wort kommen, die sonst oft nicht als Individuen in die Geschichtsbücher eingehen, wie People of Colour, queere Personen, Behinderte, Arbeiter_innen, viele mehr und jede erdenkliche Kombination aus diesen Gruppen.
Andere Frage: An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück?
Ich hab richtig lang über diese Frage nachgedacht, bis mich ein befreundeter Mensch drauf hingewiesen hat, dass es nicht darum geht, die ultimativ beste Erinnerung zu finden, sondern einfach eine, die mir spontan einfällt. Und jetzt im Kontext dieses Interviews denk ich an Wales. Also.
Wie das in Südwales meiner Erfahrung nach immer notwendig ist, haben wir jeden nicht komplett verregneten Tag für einen Ausflug genutzt – meist durch Nebelschwaden und ebenfalls ganz schön frech wirkende Schafherden zu einem Wasserfall, einem sagenumwobenen See, einem Steinkreis oder einem Berggipfel … Aber an einem Tag waren wir stattdessen im Kino. Im Nachbartal in einem kleinen Arbeiter_innenort hat sich der dortige Bergarbeiterverein mit Geld aus den monatlichen Mitgliedsbeiträgen ein eigenes Kino hingestellt. Ein Prunksaal und ein kleinerer Raum, vergoldete Lampen, Stuck, Popcorn und alles, was dazugehört. Und weil es grad Zeit für Barbie war, wir natürlich alle in pink und so offensichtlich trans wie wir nur sein konnten. Irgendwo am Land in einem Bergarbeiterkino. Und dann? Dann war es ein richtig schöner Ausflug. Die Kinomitarbeiter_innen waren herzlich und lieb, wir durften in alle Räume reinschauen und die alte Dame, die die Tickets gezwickt hat, ist am Ende extra vorbeigekommen, um unsere Meinung zum Film zu hören und uns zu sagen, wie schön sie es findet, dass sie uns getroffen hat. Und irgendwie ist das nur eine kleine Sache, aber wenn Leute aus verschiedenen marginalisierten Gruppen aufeinander treffen und gemeinsam eine schöne Zeit haben, dann geht mir jedes Mal das Herz auf und alles wirkt plötzlich viel machbarer.
Woran arbeitest du derzeit?
An einer Reihe von lebensgeschichtlichen Interviews zum Thema Geschlechtervielfalt – ich interviewe im Rahmen des Oral History Projekts MenschenLeben inter_ trans_non-binary Personen über ihr Leben. Die Interviews, bei denen die Interviewpartner_innen dem zugestimmt haben, werden voraussichtlich nächstes Jahr auch auf der MenschenLeben–Website veröffentlicht.
Und an dieser Liedersammlung – also der Sammlung von Übersetzungen revolutionärer Lieder aus allen Gegenden, in denen ich bis jetzt unterwegs war. Bis das genug Lieder sind, um was draus zu machen, wird es allerdings wahrscheinlich noch etwas dauern.
Dieser Artikel erschien auch in der >Gratisbeilage zum aktuellen Morgenschtean (U78-79/ Nov. 2023)
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