6 Fragen an Siljarosa Schletterer
Warum Literatur?
…weil die Welt des Wortes eine einzigartige Wirkkraft besitzt Brücken zu bauen.
…weil Literatur unsere Kommunikation und Welt (ab)bildet.
…weil Sprache Verbindungen schafft zwischen Utopie und Realität.
…weil sie ein Fingerzeig sein kann und ein gesellschaftlicher Seismograph.
…weil es mindestens tausend Gründe für sie gibt und mir kein Warum einfällt für eine Welt ohne Literatur (Ganz nach dem Motto „Keine Lyrik ist auch keine Lösung“ des Verlagshaus Berlin).
Aber vielleicht antwortet mensch am besten auf diese Frage mit der schlichten Antwort: …weil Literatur kann und weil Literatur ist.
Warum Dialektliteratur?
Sogenannte Dialektliteratur kann sich anfühlen, als würde die Sprache mit mehr Tiefe beschenkt, als würde eine Dimension zusätzlich geöffnet werden. Manchmal scheint es mir, als würden die Verse wortwurzelgestärkt innerlich an Leuchtkraft gewinnen. Ein Bonus fürs Lesen und Schreiben. Zudem, wer zieht die Grenzen zwischen Sprache und Dialekt? Mich hat die Aussage von Max Weinreich „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“ nachhaltig geprägt und Fragen hinterlassen. Wieso die Hierarchisierung, wieso die Gegenüberstellung oder gar der Ausschluss? Wieso nicht ein gemeinsames ineinander-Schreiben, von-einander-Lernen? Diese Fragen kommen auch in meinem derzeitigen Dialektprojekt zum Ausdruck.
Gibt es Vorbilder?
Die Antwort hängt davon ab, wie mensch Vorbilder definieren mag. Mit Hero*innengeschichtsschreibung oder Held*innenbildung habe ich meine Probleme. Definiert mensch Vorbilder als Bilder von Wesen im Kopf, die einen/mich beeinflussen, dann gibt es unzählige Vorbilder. Von meiner Oma bis zu Selma Meerbaum-Eisinger, von H. C. Artmann bis zu meiner Lieblingshündin, von der lächelnden Frau gestern auf der Straße bis zu Mechthild von Magdeburg.
Was liest du gerade?
Das ist eine der schwersten Fragen (;-)), genauso gut könnte mensch fragen, wie viele Sandkörner spürst du unter deinen Füßen am Meer. Ich kann hier nur eine Auswahl wiedergeben: Eine Auswahl, die momentan auf meinen Tischen liegt:
Max Sessner: Das Wasser von gestern, Edition Azur 2021.
Barbara Hundegger: schreibennichtschreiben, Skarabäus Verlag 2009.
Tamer Düzyol & Taudy Pathamanathan (Hg.): haymatlos, edition assemblage 2018.
An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück?
Aus meiner jüngsten Vergangenheit: An meine zwei letzten Lesungen mit realem Publikum. Mir fehlen nämlich momentan die aufmerksamen Augen, in die mensch blicken darf! Online-Lesungen kommen – bei allen Vorteilen und erhebenden Momenten – manchmal doch einer Pizzalieferung gleich: Du stellst dein Produkt vor eine verschlossene Tür und hoffst, dass es schmeckt.
Aus meiner älteren Vergangenheit würde ich als erinnerungsträchtiger Mensch nicht fertig werden mit Aufzählungen.
Woran arbeitest du derzeit?
Auch hier ist es nur eine Auswahl meines Arbeitsstapels am Schreibtisch (ich bin eine klassische Parallelarbeiterin): Ich arbeite an meinem ersten eigenständigen Gedichtband mit dem Arbeitstitel „azur ton nähe“.
Auch liegen die Vorbereitungen für die Lyrik-Schreibwerkstatt, die am Institut für narrative Sprachkunst stattfinden wird, auf meinem Schreibtisch. (Mehr Informationen unter: https://www.ink-noe.net/?SEITE=Sommersemester&pid=11196901905fd8bc66a9004)
Zudem entsteht ein oben erwähnter Dialektzyklus und ein interaktiver Gedichtzyklus „angsträume“, der in einer Ausstellung im April gezeigt wird und Mitte März online mitnachvollziehbar sein wird (https://angstwirdpoesie.wordpress.com).
(1. März 2021)
besagte nacht
wenn der wind die gräser zerzaust
und dem see die schönsten locken schenkt
da holen wir das himmelsrauschen heim
messen sternfunkeln in traumweite
unterm sterahimmel nennsch du s’dahoam
dr tålkessel deckt ins mit gschichta zua
nua nachtfålter, ådler und d’sunnwendkäfer
zoaga ins‘n weg zum dem platzle des scho alleweil
a hintertiarle war in a andre walt
im feuerspiegel dann das wiederbegegnen
ein uferloses du – animalisch und warm
da öffne ich meine blüten den königskerzen gleich
bei dir pocht jahrtausendalter atem
in die magie der sprachlosigkeit
då bin i bei dir – inigekrocht
in viel z’groaßes gwand und doch nackat
nur d‘reach und a fux weras secha
zuluage wia ma inser gschicht nüi schreiba
mit herzpinsl und füarfårb
(Siljarosa Schletterer)
Literatur von Siljarosa Schletterer im MORGENSCHTEAN:
„an verbotenen orten“, Ausgabe U 66-67/ 2020.
Kurzbiografie (Stand 02 .03. 2021)
Siljarosa Schletterer ist freiberufliche Autorin, Lyrikerin und Kulturvermittlerin. Sie studierte Literatur- und Musikwissenschaft mit den Forschungsschwerpunkten (Gegenwarts-) Lyrik sowie Zusammenspiel von Musik und Sprache. Vermittlung von Lyrik ist ihr als Organisatorin, Kursleiterin, Moderatorin, Herausgeberin ein Herzensanliegen: So organisiert sie das Lyrikfestival W:ORTE in Innsbruck mit und ist z.B. Gründungsmitglied der Kunstplattform „art against racism“ und der Lyriklesebühne „wir machen halt lyrik“. Mitgliedschaften und Vorstandstätigkeiten u.a. GAV (Grazer AutorInnen Versammlung, IG Autorinnen und Autoren, IG Autorinnen Autoren Tirol, 8ung Kultur.
Weitere Informationen unter: www.siljarosaschletterer.com
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