»Das Mülchgschraa ist ja die eigentliche Muttersprache«
Alfred Woschitz im Interview
Du bist im Kärnten der 1960er-Jahre aufgewachsen. Vor ein paar Jahren bist du – nach mehreren Jahren im Ausland im Rahmen humanitärer Hilfsprojekte und schließlich in Wien – in das Haus deiner Kindheit zurückgekehrt. Wie war die Rückkehr nach Villach für dich?
Das jahrzehntelange Fernsein von meiner Heimat Kärnten hat zu einer gewissen Distanziertheit zu meinem Herkunftsland geführt, nie aber zu einer totalen Abnabelung. Dazu kamen meine Auslandsaufenthalte in einer Zeit der Umbrüche in Europa, wie dem Fall der Berliner Mauer, die Auflösung der Sowjetunion und der Jugoslawienkriege. Dadurch, dass ich die Möglichkeit hatte, politische und gesellschaftliche Veränderung von Innen wie auch Außen zu betrachten, wurde mein Schwarz-Weiß-Denken farbiger und bunter, nicht nur in Bezug auf Gesellschaft und Politik, sondern auch in Kunst und Kultur. Die Rückkehr nach Kärnten in mein Dorf im Norden der Stadt Villach ist bzw. war ja keine »Heimkehr« für immer, sondern dem Umstand geschuldet, dass meine Eltern pflegebedürftig wurden.
Du bist ein großer Fan der Dialektliteratur Bernhard C. Bünkers – du hast mehrere Bünker-Lesungen organisiert, derzeit drehst du einen Film über den Schriftsteller. Warum ausgerechnet Bünker?
Die Begegnung mit der Literatur Bünkers (bzw. der Bünkers) fand auf den Straßen Wiens, vor einem Antiquariat statt. Aus einer Bücherkiste erstand ich ein Buch mit Gedichten von Otto Bünker, dem Vater von Bernhard C. Bünker. Die Zufallsbekanntschaft mit Axel Karner war schließlich der Impuls, mich auch mit dem Sohn Otto Bünkers zu beschäftigen. Es folgten Lesungen, Diskussionen und daraus folgend die Idee, den Film »Zornige Flucht« gemeinsam mit dem Journalisten und Filmemacher Chris Haderer in Angriff zu nehmen.
Du schreibst selbst im Dialekt. Wann hast du damit begonnen – und welche Herausforderungen bringt der Dialekt beim Schreiben mit sich?
Der uns angeborene Dialekt, ich nenne ihn »Mülchgschraa«, ist ja eigentliche Muttersprache in uns. Sie entspringt dem Bauchgehirn und sitzt viel tiefer, als wir es wahrnehmen. Es ist also keine Herausforderung, im Dialekt zu schreiben, man muss es nur zulassen und einfach tun. Eine Befreiung gegenüber dem konstruierten Hochdeutsch.
Was macht für dich einen guten Dialekttext aus?
Wenn der Text vom Hirn in den Bauch und zurück fährt, ohne dass du darüber nachdenken musst. Sätze, im Dialekt geschrieben, können, ohne dass du es wahrnimmst, in dir hängenbleiben.
Von Wien bis Kärnten kennt man dich nicht nur als Autor, sondern vor allem als Literaturvermittler. Du hast unzählige Lesungen im Kunstraum »Ewigkeitsgasse« organisiert, du gestaltest Literatursendungen auf OKTO und bist auch als Radiomacher aktiv. Als Vorsitzender des Kärntner Schriftsteller:innenverbandes hast du u.a. das Projekt »flussaufwärts« ins Leben gerufen, das Literat:innen der Länder Italien, Slowenien und Österreich miteinander verbindet. Welches Erlebnis ist dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Begonnen hat alles auf dem Slawistik-Institut in Wien Anfang der 1980er-Jahre, als ich mit der Literatur der Russischen Moderne in Berührung kam. Es folgten Jahre des Broterwerbs als Projektleiter Internationaler Hilfsprojekte, bis ich schließlich 2005 in der ehemaligen Heimatgasse des 1939 aus Wien vertriebenen Schriftstellers Frederic Morton den »Kunstraum Ewigkeitsgasse« gründete. Der Beginn einer lange Jahre andauernden Freundschaft mit dem in New York lebenden Schriftsteller Frederic Morton sowie auch eines intensiven Kontakts zu Erinnerungs- und Gedenkkultur. Dann war es die tiefe Freundschaft zu Uli Scherer, den bekannten Musiker und Komponisten, der mir den Weg zur »Wiener Gruppe« und in die Literatur der Zwischenkriegszeit (Kaffeehausliteraten) eröffnete.
Jahre der Literaturvermittlung folgten, vor allem in der Zusammenarbeit mit Zsolnay und Deuticke.
In steter Erinnerung wird mir eine Veranstaltung mit Kindern mit Migrationshintergrund bleiben, die Frederic Morton ihre Texte vorlesen und anschließend mit ihm diskutierten durften.
Dann gibt es noch das angesprochene Bildungs- und Literaturprojekt »flussaufwärts – po reki navzgor – contro corrente«, das als Impulgeber für ein globaleres Kulturverständnis im Alpe Adria Raum angelegt war und immer noch ist. Dazu gehört auch das alle zwei Jahre stattfindende Alpen-Adria-Literatursymposion des Kärntner Schriftsteller:innenverbandes, dass im Stift St. Georgen am Längsee stattfindet.
Nicht nur als Schriftsteller, auch als Übersetzter, Biograf und Literaturvermittler hast du dir stets die »unbequemen« Themen ausgesucht. Du forderst auch Kärnten heraus, seine Grenzen noch mehr zu öffnen, mehr mit den Nachbarländern in Kontakt zu treten – und das in einer Zeit, in er es wieder vermehrt Debatten um Grenzschließungen gibt.
Als Kind im Zollgrenzbezirk zwischen Italien und Österreich (Villach) aufgewachsen hat das Wort Grenze eine tiefere Bedeutung. Jeder Ausflug über die Grenze war mit Warten und Kontrolle verbunden. Dann fielen die Grenzen und ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stehenbleiben« beherrschte lange Zeit den Grenzübergang, bis die Migrationsfrage wieder alles umkehrte und man nun immer damit rechnen muss, auf den Parkplätzen innerhalb Österreichs entlang der Autobahn kontrolliert zu werden. Das stimmt traurig.
Verrätst du uns zum Schluss noch deine Lieblings-Dialektausdrücke aus Wien und auch aus Kärnten?
Wienerisch:
– Hieb (Bezeichnung für Bezirk)
– 16er-Blech (Bierdose mit Ottakringer Bier; Ottakring ist der16. Bezirk)
Kärntnerisch:
– Tasn (Zweige bzw. Äste von Nadelbäumen)
– Tschwote oder Tschriasche (tolpatschiger bzw. umständliche männliche Person)
– Treappn (dümmliche weibliche Person)
– Tscherfln (schlendern, schleifend gehen)
– klunzen (kränkeln)
– napfazn (leicht vor sich hindösen)
u.s.w.
Nov. 2024 / mpk
Lyrik von Alfred Woschitz gibt es auch in:
Morgenschtean U82-83/ November 2024
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