top of page

»Leben ist zwegnkeeim und fuatgeahn«

Aktualisiert: 22. Nov. 2024

Anna Maria Lippitz im Interview

Anna Maria Lippitz | Foto: © Bianca Puschl

Du wurdest in Griffen geboren, heute lebst du im Lavanttal. Hat sich dein Sprechen durch den Ortswechsel verändert? Und wie verhält es sich in deinen Dialektgedichten? Welcher Dialekt schlägt sich hier nieder?

Im Grunde hat sich, obwohl ich im Jauntal geboren wurde, schon seit meiner bewussten Hörfähigkeit die Klangmelodie unterschiedlicher Sprachfärbungen in mein Dasein geprägt. Meine Mutter ist im sogenannten Windischen Sprachbad aufgewachsen und unterhielt sich mit meinem Vater und uns Kindern im Unterkärntner Dialekt, wie es in diesem Haus üblich war, jedoch mit ihren Geschwistern Windisch sprechend.

Die Muttersprache väterlicherseits war stark vom Lavant­taler Dialekt geprägt, da die Oma meines Vaters aus St. Paul im Lavanttal stammte. So trage ich viele alte Lavanttaler Dialektworte weiter, welche mein Vater neben dem vorwiegend gesprochenen Jauntaler Dialekt verwendete, und die mir schon seit Beginn meiner Wahrnehmung von Sprache »söltsom« im Sinne von kostbar erschienen sind. Insofern habe ich durch den Ortswechsel eine Erweiterung des Lavanttaler Sprachschatzes erfahren. Im Bezug auf meinen Unterkärnter Dialekt – den Windischen beherrsche ich ja leider nicht –

war ich jedoch in der rein Lavantaler Dialekt sprechenden Familie, in die ich eingeheiratet hatte, gefordert, mir bestimmte Begriffe wie zum Beispiel Karjola (1) zu verkneifen, um kein Gespött auf mich zu ziehen.

An meinen jüngeren Gedichten beobachte ich, dass sich mehr und mehr der Lavanttaler Dialekt in den Vordergrund drängt, zugleich jedoch bestimmte Jauntaler Ausdrücke unverzichtbar bleiben, um mein Fühlen präziser wiedergeben zu können. So gesehen würde ich meinen, im Kärntner Dialekt zu schreiben, der von der Koralpe bis zum Glockner ein vielfältiger ist, sich oft schon aus einem Tal bergwärts anders färbt und dennoch unverkennbar kärntnerisch klingt.


In deinen Dialektgedichten hat man manchmal das Gefühl, in längst vergangene Zeiten zurückzureisen, dann wieder geht es um brandaktuelle Themen. Wie findest du zu deinen Themen? Was inspiriert dich?

Zunächst bin ich euch sehr dankbar für die Themen, die mir jetzt durch den Morgenschtean zukommen und mich zum Schreiben bewegen.

Meinen Eltern verdanke ich, bestimmte Arbeitsweisen und Umstände erlebt zu haben, die eigentlich meiner Großelterngeneration zuzuschreiben wären. Am Bergbauernhof aufgewachsen und bis zum vierzigsten Lebensjahr Bäurin gewesen zu sein, selbst noch »Goarbn gebundn«, »in Kumpf einghängt, Bleicha gschepst« und »Bochmulta griebn« zu haben, ermöglicht, Erlebtes zu formulieren. Vergangenes und aktuelles Erleben beeindruckt und beschäftigt mich. Themen, die mich gefühlsmäßig erreichen, bewegen mich. Es bewegt sich in mir, verdichtet sich und drängt irgendwann nach außen. Wir sind mittendrin, ständig gefordert. Die Witterungsfolgen, die Veränderungen in Gesellschaft, Arbeitswelt und sozialem Gefüge, Beziehung, Familie, weltumspannende Verbindung und Verbindlichkeiten, Überzeugungen und Religionen, die neuen Technologien. Ich bin noch ohne Telefon in der Großfamilie aufgewachsen, nun beobachte ich den Alltag meiner erwachsenen Töchter und bin tief bewegt über die persönliche Erfahrung dreifache Großmutter zu sein. Den Tod sehr nahestehender Menschen musste ich ebenso wie alle Betroffenen irgendwann akzeptieren lernen. Leben ist »zwegn­keeim« und »fuatgeahn«. Beides verursacht Schmerzen, wenn es nah kommt, und ist gleichzeitig berührend schön. Und dazwischen sind weitere, unzählige Momente des Spürens und Fühlens, die über die Sinne wirksam werden, mir zu denken geben und Auswirkung auf mein Schreiben haben.


Was deine Dialektgedichte vereint, ist der unheimlich schöne Rhythmus deiner Lyrik, ihre Sinnlichkeit und das Lautmalerische in deiner Sprache. Damit schaffst du es, auch jene in den Bann zu ziehen, die nicht jedes Wort verstehen. Wie lange feilst du an deinen Gedichten?

Danke für die Mitteilung dieser Wahrnehmung. Das animiert zum Weiterschreiben.

Ein Großteil meiner Gedichte entspringt einfach so meinem Inneren, sozusagen naturwüchsig. Vieles fließt in einem Guss aufs Papier und wird nicht mehr bearbeitet. Manches verbraucht über zehn Seiten Papier während des Entstehens, wird am Stück geschrieben, überschrieben, es wird reingeschrieben, bis es sich fertig anfühlt. Einige Dichtungen bekommen mehrmaligen Korrekturbesuch im Laufe von Tagen oder Wochen, um vollständig zu werden. Es kommt auch vor, dass ein mir vorerst fertig erschienen gewesener Text zu einem späteren Zeitpunkt noch verändert wird. Oft ist es ein bestimmtes Wort, das noch gesucht wird, um näher ans Gefühl oder ans Bild zu kommen, es präziser zu formulieren.


Welche Texte entstehen, wenn du nicht im Dialekt schreibst?

Es sind vorwiegend Gedichte, lyrische Prosa. Einige Märchen sind entstanden. Sinnsprüche, die im alljährlichen Kalender der Kärntner Schreiberlinge oder im Landkalender des Leopold Stocker Verlags erschienen sind. In Schreibgruppen nehme ich gerne Schreibimpulse von Kolleg:innen auf. So finden Gedanken neue, unbekannte Wege – auch zu Kurzgeschichten. Poetry-Slam war bei uns Kärntner Schreiberlingen auch ein spannender Impuls, sich auf fremdes Terrain zu wagen. Ein laufendes Schreiben sind Kindheitserinnerungen, die jedoch nicht ganz ohne Dialektwörter auskommen. Zudem schreibe ich tagebuchähnlich, jedoch unregelmäßig, zu Themen, die mich im Moment beschäftigen. Zuletzt die Geburt meines dritten Enkels.


Du bist Mitbegründerin der Kärntner Schreiberlinge. Wie kam es dazu? Was bedeutet es dir allgemein, Teil einer Schreibgruppe bzw. eines Schriftsteller:innenverbandes zu sein?

Eine Freundin, Hemma Schliefnig, die sich mit dem Buch »Meine Mama hat außer Windisch nichts Deutsch können« sehr intensiv mit Muttersprache auseinandergesetzt hat, lud mich zu einer Schreibwerkstatt des Kärntner Bildungswerkes mit Anita Arneitz nach Klagenfurt ein, damit meine schlafende Schreibfreude erweckt würde. Mit Erfolg, denn seither schreibe ich wieder regelmäßig, weil mir die Sinnhaftigkeit durch die Ermunterung und Bestätigung der Gruppe gegeben wurde. Um der Trauer des Endes einer Schreibgemeinschaft zu entwischen, beschloss ein Teil dieser Gruppe, sich – unter der unbezahlbaren Präsidentin Karin Ch. Taferner – weiterhin vierzehntätig zum Schreiben, Vorlesen und Diskutieren zu treffen. Wir sind nun im 12. Jahr, haben persönliche Erweiterung im Schreiben erfahren, viele Lesungen abgehalten und gemeinsam Bücher, Kalender sowie eine CD kreiert. Zudem bringen wir jährlich einen Kalender mit Sinnsprüchen heraus. Ich schätze das Inspirierende, das durch Schreibanregungen, Rückmeldungen, Diskussionen, durch Zuhören entsteht. Ebenso den Austausch von Erlebtem und die Freundschaft, die sich inzwischen entwickelt hat.

Die Zugehörigkeit zum Kärntner Schriftsteller:innen­verband ermöglicht mir Kontakt zu Literat:innen, die teilweise schon lange schreiben bzw. professionell und erfolgreich literarisch tätig sind. Mich interessiert es, wie schreibende Menschen denken. Mich inspiriert es zuzuhören. Zudem gibt es in dem Kreis die Möglichkeit, an wertvollen Weiterbildungen teilzunehmen, Kritik auf mein Schreiben zu erhaschen und es lesend an die Öffentlichkeit zu bringen.


Verrätst du uns noch dein Lieblings-Dialektwort?

rogla (2). Dieses Wort wurde oft von meinem Vater verwendet und es ist auch bezeichnend für ihn.



____________________________

1 Im Lavanttal wird die Jauntaler Karjola zur Radltruchn, auf Hochdeutsch Scheibtruhe oder Schubkarren.

2  bezeichnet das zarte, vorsichtige, achtsame Tun sowie das Lockere, Leichte, Lose im Zusammenhang mit der Beschaffenheit von z.B. Erde oder Schotter oder auch z.B. die lose Verbindung eines Türriegels.

Nov. 2024 / mpk





Lyrik von Anna Maria Lippitz finden Sie in:

Morgenschtean U82-83/ November 2024




Comments


Morgenschtean – Die Österreichische Dialektzeitschrit

Hg von: Ö.D.A. – Österreichische Dialektautor:innen

Institut für regionale Sprachen und Kultur

Gumpendorfer Str. 15, 1060 Wien

Kontakt: morgenschtean@oeda.at

IMPRESSUM / DATENSCHUTZ

Bildschirmfoto 2024-03-26 um 19.58.31.png
bottom of page