»Meine erste Fremdsprache ist schriftsprachliches Deutsch«
Axel Karner im Interview
Du bist in Zlan, am Beginn des Stockenboier Grabens aufgewachsen. Welche Sprachen haben dich geprägt? Bist du schon als Kind im Dialekt aufgewachsen?
Prinzipiell hat jede Form von Sprache ihre Berechtigung. Sprache ist für alle komplexeren Tätigkeiten und Denkvorgänge des Menschen unverzichtbar. Der Mensch lebt und arbeitet in der Sprache.
Es gibt keine muttersprachliche Herleitung für mein Sprechen. Die Verkehrssprache zu Hause war gepflegte Umgangssprache. Mein Vater, der als in der Monarchie geborener Burgenländer mehrsprachig aufgewachsen ist, lernte Deutsch in der Form des heanzischen Dialekts und Ungarisch. Meine Mutter, in Leipzig geboren, sprach ursprünglich sächsisches Deutsch und musste, um in Kärnten verstanden zu werden, »nach der Schreibe« reden.
Im Gegensatz zu meinen Eltern redete ich, auch während meiner Schulzeit in Villach (bei der Matura wurde ich ermahnt, nicht im »derben« Dialekt zu sprechen), selbst noch während meines Studiums und in den Anfängen als Lehrer in Wien in breitem Dialekt. Das brachte mir in Wien als provinzieller Exot zwar eine gewisse soziale Zuwendung ein, führte im Unterricht jedoch zu Unverständnis und vielen Fragen. Oft auch zu Gelächter unter den Schülern.
Meine erste Fremdsprache ist schriftsprachliches Deutsch und mindestens genauso mangelhaft wie alle anderen Sprachlernversuche im Laufe meines Lebens.
Deine Gedichte sind sehr verdichtet und lautmalerisch, dennoch auf schonungslose Weise ehrlich. Sie erzählen von Sprachlosigkeit, Gewalt in ihren diversen Ausprägungen, vom Totschweigen und Verdrängen und davon, was plötzlich wieder hochgeschwemmt wird. Gab es ein auslösendes Erlebnis, das dich bewogen hat, dich diesen Themen zu widmen?
Ein auslösendes, singuläres Erlebnis gibt es nicht, eher lässt sich ein schmerzhafter Erkenntnisprozess in der Wirkungsweise einer griechischen Tragödie beschreiben.
Es ist das ein Gefühl einer unsagbar tiefziehenden Kälte und Einsamkeit, die ich oft als Kind und später als Jugendlicher im Dorf erlebt habe. Es ist vor allem der Aspekt einer emotionalen Ambivalenz, der mich seit meiner Jugend belastet. Da schmeichelt einerseits die idyllische Verklärung und Verkürzung intensiver Kindheitseindrücke, anderseits erschreckt und verstört die dystopische Leere und Dunkelheit einer grauenvollen Menschenferne.
Wie Viele meiner Generation stelle ich mir die Frage, warum ich nicht mehr Wissen aus unseren Eltern (Kriegsgeneration: Vater 1907, Mutter 1924 geboren) herausgeholt habe. Warum es nicht möglich war, das so beredte Schweigen formalisierter Anekdoten zu durchbrechen. Den Grund politischer Dummheit, Ängstlichkeit und Angepasstheit zu hinterfragen. Wie konnte es gelingen, ohne große sichtbare Gewalteinwirkung, Kinder so bleibend feig, dumpf und stumm, geradezu sprachlos zu halten, sie unter den »geheiligten« Schirm religiöser Rituale und frommer Sprache und der damit verbundenen sozialen Kontrolle zu stellen.
Die abgebildeten Gedichte von Axel Karner erschienen 1989 in der ersten Ausgabe des Morgenschtean.Neuere Gedichte von Axel Karner finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe (U82–83/2024).
Schlug man 1989 die erste Ausgabe des »Morgenschtean« auf, war es bestimmt kein Zufall, dass man auf den ersten Seiten ausgerechnet deine Gedichte zu lesen bekam. Der »Morgenschtean« wollte immerhin den Beweis antreten, dass Dialektliteratur kritisch auf die Heimat blicken kann (ja, muss!), und das mit einer unmittelbaren Wucht, die der Hochsprache oft fehlt. Wann hast du begonnen im Dialekt zu schreiben? Und welche Bedeutung hatte dabei auch die Begegnung mit Bernhard C. Bünker für dich?
Eine prominente Platzierung. Vielleicht liegt es daran, dass Bernhard C. Bünker, mit dem ich befreundet war, der mich zum Schreiben in Dialekt anregte und den ich mitunter als meinen literarischen Mentor betrachte, meine Gedichte als publikationswürdig fand. Er hat auch 1992 den Klappentext zu »a meada is aa lei a mensch«, meinen ersten Gedichtband, verfasst.
Bünkers Einfluss bestand allgemein derart – wie Gerhard Ruiss es einmal formulierte –, dass er »für vieles und viele ein Sprungbrett geschaffen hat, das er für sich selbst nie nützen wollte.«
Mit dem »Morgenschtean« schuf Bernhard C. Bünker gemeinsam mit Manfred Chobot und Hans Haid schließlich eine regelmäßige Publikationsmöglichkeit für kritische Dialektliteratur.
Mein Schreiben im Dialekt hat vordergründig wohl auch damit zu tun, dass ich als Student im akademischen Betrieb angehalten war und daher lernen musste, in Schriftsprache zu sprechen. Mag sein, dass ich auf diese Weise einen empfundenen sprachlichen und auch einen damit verbundenen Identitätsverlust auszugleichen suchte.
Der Dialekt als Kommunikationsmittel steht immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Fremdheit und Vertrautheit. Mein Dialekt hat zwar Kärntner Sprachwurzeln, unterliegt aber einer individuellen Verslangung, und damit einer lebendigen Veränderung. Widersetzt sich jeglicher Einhegung und »Pflege«. Der anarchische und ursprüngliche Aspekt des Dialekts hat die Kraft, jeden Sprachrahmen zu sprengen, zumindest aber in Frage zu stellen. Ein Unterbinden sprachlich-individueller Unmittelbarkeit und Authentizität hätte nur eine sprachpolizeiliche Mumifizierung zur Folge.
Obwohl du schon sehr lange in Wien lebst, schreibst du nach wie vor im Kärntner Dialekt. Wie hat sich dein Verhältnis zu Kärnten und auch zum Kärntner Dialekt nach so vielen Jahren in Wien gewandelt?
Mein Verhältnis zu Kärnten lässt sich als eher schmerzlich umschreiben, gerade auch wenn man sich die aktuelle politische Willensbekundung (Nationalratswahl 2024) vieler Kärntner Wähler und Wählerinnen vor Augen führt, die wieder einmal den nationalistischen Geist beschwören. Ganz im Sinne Bernhard C. Bünkers, der in seinen Satiren den Dichter Leposchitznig sagen lässt: »Wal ans is en jungen Hamatdichta mea und mea aufgongen, namle, doßa de Hamat nit los wean konn, dewos sich einwendig drinnen in eam onkrallt wia a Kotz«, besteht eine kritische Distanz, die sich aber nicht nur einfach mit Sympathie und/oder Antipathie beschreiben lässt. Das würde den Blickwinkel einengen und die Urteilsfähigkeit verkürzen. Das Verhältnis ist differenzierter und Ergebnis eines Entwicklungsprozesses immer in kritischer Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen und sozialen Situation im Land. Mit dieser räumlichen, aber auch mentalen Distanz zu Kärnten habe ich gelernt, tradierte Erzählungen über die Verhältnisse in Kärnten kritisch zu sehen, zu hinterfragen und neu zu bewerten.
Fragt man nach dem Unterschied zwischen »Mundart« und »Dialekt«, vermuten viele, dass es einen sprachlichen Unterschied geben muss. Der Duden meint hingegen ganz klar: Die beiden Begriffe sind Synonyme. Und doch hat sich die Ö. D. A. bei ihrer Gründung ganz bewusst vom Begriff »Mundart« distanziert, sowie auch du großen Wert darauflegst, das Wort »Dialekt« zu verwenden. Kannst du unseren jüngeren Leser:innen erklären, warum?
Die neue Begrifflichkeit diente der Abgrenzung. Unter Hervorhebung des dialogisch-diskursiven Aspekts von Sprache sollten vor allem politische und soziale Inhalte berücksichtigt werden. Im Zuge der 68er-Bewegung wird die Sprache als Herrschaftsinstrument kritisch in Frage gestellt und debattiert. Die Suche nach der eigenen Identität führt auch zur Suche nach einer persönlichen Sprache. Der Dialekt wird zur Sprache gegen das Establishment. Sprachlosigkeit und Sprachfindung, soziale Wahrnehmung und die politische Umsetzung bezeichnen dabei Variablen auf einem literarischen Feld, auf dem Lebenswelt und Sprache einander bedingen.
Zu Beginn der 70er-Jahre und in den 80er-Jahren kommt es zu einer Vernetzung und Internationalisierung der neuen kritischen Dialektdichtung. Mit der Gründung des IDI (Internationales Dialektinstitut) werden sprachliche Phänomene wie die Dialekte, Sprachen der Minderheiten und regionale Sprachen in einem gemeinsamen Projekt zusammengefasst, ohne sie untereinander und/oder gegen die Schriftsprache auszuspielen. Die Bewertung der Dialekttexte erfolgt nach ihren inhaltlichen Schwerpunkten und nach deren Authentizität.
Neben der politischen und sozialen Intention steht vor allem die Frage nach der »Verkitschung der Dialektdichtung im Sinne unrealistischer Wirklichkeitsschau, Postkartenmalerei und Heimattümelei« (Sebastian Baur). Ein besonderes Anliegen dabei ist, jene traditionalistische Mundartdichtung, die sich als Wald- und Wiesenpoesie und vor allem als nationalistische Blut- und Bodendichtung unangenehm hervortut, auf den ihr zustehenden Platz zu verweisen. In strikter Abwehr jeglicher Vereinnahmung von Rechts, gerade in Kenntnis des propagandistischen Missbrauchs der Mundart während der NS-Diktatur.
Themen und inhaltliche Schwerpunkte des kritischen Diskurses sind vor allem auch ökologische Fragen. Ursprünglich als Auseinandersetzung mit der Landschafts- und Menschenzerstörung durch den Massentourismus, über Protesten gegen die Errichtung von Atomkraftwerken bis hin zu den aktuellen Fragen der Klimaveränderung.
Besonders augenscheinlich ist die sozial-emanzipatorische Linie, die die kritische Dialektliteratur durchzieht. Sensibilität und Empathie für die sozialen Probleme kleiner Leute, Kritik an Armut, Fremden- und Frauenfeindlichkeit, menschenfeindlicher Asylpolitik, zeichnet diese Autoren und Autorinnen aus.
Vielen Dank!
Nov. 2024/ mpk
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Für sein Werk wurde Axel Karner 2022 mit dem Humbert Fink Preis ausgezeichnet. Die Jury hob Karners »Meisterschaft in der sprachlichen Reduktion« hervor sowie sein Beharren darauf, »dass Literatur mehr zu sein habe als bloße Unterhaltung«.
Eine Rezension zu Axel Karners letztem Lyrikband mit dem Titel "popanz" (Wieser, 2024) finden Sie >HIER.
Lyrik von Axel Karner gibt es auch in:
Morgenschtean U82-83/ November 2024
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