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Ludwig Roman Fleischer im Interview



Ludwig R. Fleischer Foto © sisyphus

Du hast vor kurzem deinen 70. Geburtstag gefeiert – nochmals alles Gute!

Am selben Tag ist auch deine neueste Publikation erschienen, die den Titel „Partnerlook“ trägt. Bevor ich mehr dazu frage – das wievielte Buch von dir ist das jetzt?

Ich glaube, das achtunddreißigste.


In deinem neuen Roman geht es um ein Ehepaar, das bei einem Partnervermittlungsinstitut anheuert – eben mit dem Namen „Partnerlook“, um einander beim Flirt mit Fremden zu beobachten. Dabei lässt du die Frauen in Monologen zu Wort kommen. Das klingt nach einem großen Spaß. Wie bist du auf die Idee gekommen?

Ich liebe Akzente, Idiolekte und Soziolekte, und finde zeitgenössische Sprachverschandelung zumindest unterhaltsam. In Monologen sind Romanfiguren leichter darstellbar als in auktorialen Kommentaren und selbst in erlebter Rede. Im besten Fall entsteht die Illusion, dass der Autor/die Autorin gar nichts tut.


Dein Werk ist nicht nur sehr umfangreich, sondern vor allem sehr vielseitig. Voriges Jahr erschien „100 Jahre Seewinkel“, in dem du Anekdoten erzählst, Mythen auf den Grund gehst, Kultur- und Zeitgeschichtliches festhältst und vom alltäglichen Leben berichtest. Diesen Sommer wiederum erschien der zweite Band von „Weana Gschicht und Weana Gschichtln“. Da kommt die Frage auf: Schreibst du immer an mehreren Manuskripten parallel?

Eigentlich nicht. Ich schreib nur zwischendurch Kurzgeschichten, wenn mir was ein- oder auffällt. Mittlerweile hab ich gut 150 unveröffentlichte auf Lager.


Auch mit deiner Wahlheimat Kärnten hast du dich auseinandergesetzt – 2014 erschien „Dorf der Seele – Geschichten aus der Kärntner Umgebung“. Wie näherst du dich als Wiener Schriftsteller deiner Wahlheimat?

Mit der in jeder aufrichtigen Liebesbeziehung unentbehrlichen Ambivalenz.


Diesen Sommer erschien, wie bereits erwähnt, der zweite Band von Weana Gschicht und Weana Gschichtln. Du startest mit dem Ende der Monarchie und berichtest bis zur Gegenwart, Band 1 beginnt sogar schon in der Steinzeit. Wie ist es dir gelungen, diesen gewaltigen Stoff in dieser Kürze darzustellen?

Wenn ich im Dialekt spreche oder schreibe, bin ich nicht so umständlich wie in der sogenannten Hochsprache. Ich hab auch als Lehrer immer wieder meinen Wiener Dialekt benutzt, wenn ich was einfach und saftig ausdrücken wollte.


Wer schon einmal das Vergnügen hatte, dir zuzuhören, weiß, dass du ein begnadeter Geschichtenerzähler bist, mit einer Stimme, der man einfach gern lauscht, und einem Wiener Dialekt, den man heute kaum noch hört.

Erste Frage dazu: Hast du einmal eine Sprecherausbildung genossen oder bist du ein Naturtalent?

Zweite Frage: Bist du als Kind mit dem Dialekt aufgewachsen, in dem du erzählst?

1) Ich hab keine Sprecherausbildung genossen, war aber immer ein passionierter Hinhörer, „Auditeur“ könnte man in Anlehnung an „Voyeur“ sagen.

2) Ja, ich bin mit diesem Dialekt aufgewachsen. Nur, wenn wir die Innenstadt betraten, sagte meine Mutter „Jetzt wird Hochdeitsch gredt“. Hochdeutsch habe ich schon als kleiner Bub durch häufiges Radiohören gelernt, als erste Fremdsprache quasi. Der Apparat war der schwarze Volksempfänger meiner südsteirischen Großmutter. Übrigens hat es weder in meiner mütterlichen noch in meiner väterlichen Verwandtschaft einen Nazi gegeben. Die konnten – Arbeiterklasse auf der einen, Handwerker-Meisterklasse auf der anderen Seite – den Nationalsozialismus nicht ausstehen.


Nun ist ja gerade das alte Wienerisch im heutigen Sinne alles andere als politisch korrekt. Die Frauen werden als "Wähwalähd" bezeichnet, die Italiener als "Katzlmåcha" und die Deutschen als "Mammelaadiŋnga".

Kannst du unseren jungen Leser:innen erklären, was es mit den Ausdrücken auf sich hat und wieso du dich dafür entschieden hast, sie in deinen ersten Lektionen zu verwenden?

Ich habe die Stimme und die Sprache eines Wiener Altspatzen verwendet (der ich ja auch bin). Wenn ein Altwiener „Wähwalähd“ sagt, ist es wie wenn ein alter Tiroler „Wähwa“ (oder zu Mädchen „Gitschale“) sagt, oder eine Frau „Maŋnnsbühda“. Wertungsfrei. Die Katzlmåcha waren eigentlich Südtiroler „Gazzomacher“, als Hersteller erstklassiger Schöpflöffeln aus Holz, die sie in Österreich verkauften. Ich kann ganz gut Italienisch und bin in hohem Maß italophil, daher darf ich die Italienerinnen und -ener so nennen – alle Betroffenen, denen ich die Katzlmacheranekdote erzählt habe, haben gelacht. Ja, und ich bin ein wirklicher Liebhaber Deutschlands (und seiner Dialekte!). Ich betrachte die Deutschen als unsere Geschwister und mag sie sehr. Marmelade hab ich auch sehr gern, ich koch sie selber ein. Mit unserer beidseitigen Neigung zum Pallawatsch spiegeln wir oft einander. Über allem steht die Ambivalenz: Was sich liebt, das neckt sich.


Man merkt: Das arme Opfer Österreich geht dem Wickadl (der ja dein Alter Ego ist) mit der Zeit ganz schön auf die Nerven. In deinem Buch/Hörbuch erinnerst du unter anderem an die Anfänge der FPÖ, an die Waldheim-Affäre, und – ein paar Lektionen davor – auch an das Ende der ersten Demokratie unter Dollfuß und sagst: „Maŋnche Lähd tehdn eam woaschähnlich aa häht noo hochlleem låssn. Des san dee, wås iewa die EU und is Padlament måtschgan und sågŋ, dass a schtoaka Maŋ heagherad. Lähda is mit de schtoakŋ Manŋar a so, dass imma rechthaŋm miassn und kaan Widaschpruch nehd duidn. Fräulich gehd daŋnn schnölla wås wähda wiar in da füh kompliziartaran Demogratie, wo d’Lähd hoid glähchberechticht mitanaŋnda redn miaasn.“

War das mit ein Grund für dein Projekt? Daran zu erinnern, dass der Wunsch nach schneller Veränderung und einem starken Mann recht schnell wieder in düstere Zeiten führen kann?

Ja. In Österreich sind mehr als 6o Prozent mit der Demokratie unzufrieden, 18 Prozent würden sie gern abschaffen. Ich fürchte, die Tendenz könnte angesichts der Pandemie, der Inflation und des Ukrainekriegs und seiner für uns spürbaren Folgen steigen.


Verrätst du uns vielleicht schon, was als Nächstes von dir kommt – oder ist das noch geheim?

Ich würde gerne eine Anthologie eines Teils meiner 150 unveröffentlichten Kurzgeschichten herausbringen, muss das aber noch mit dem Winfried Gindl besprechen.


Dann wünschen wir, dass da bald etwas Schönes entsteht! Vielen Dank für deine Antworten.


Oktober 2022

Die Fragen stellte Margarita Puntigam Kinstner


 

Die Buchbesprechung von "Weana Gschicht und Weana Gschichtln – Fom End fon da Ma nachie bis häht" finden Sie in unserer neuen Ausgabe U74-75




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Hg von: Ö.D.A. – Österreichische Dialektautor:innen

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