Wort und Gewalt – Rückschau auf das Symposium des KSV
Von 20. bis 22. Oktober 2023 fand im Stift St. Georgen am Längsee das Alpen-Adria Literatursymposium des Kärntner Schriftstellerverbandes statt. Die Veranstaltung war Ausklang des zweijährigen, länderübergreifenden Literaturprojekts »flussaufwärts«, das von der Kärntner Kultur Stiftung gefördert worden war.
Welche Bedeutung hat Sprache für unsere Gesellschaft? Wie viele Sprachen gibt es überhaupt auf der Welt? Und wie sehr hat sich unser Verständnis von Sprache und Nation in den letzten 100 Jahren gewandelt?
Diesen Fragen stellten sich die Vortragenden des Alpen-Adria Literatursymposiums 2023 des Kärntner Schriftstellerverbandes, das dieses Jahr im Stift St. Georgen am Längsee stattfand.
Tischlbong – eine der vielen Sprachinseln hinter der Grenze
Der erste Nachmittag stand ganz unter dem Motto »Gegen den Strom«. Nach kurzen Begrüßungen von und durch Reinhart Rohr (1. Präsident des Kärntner Landtags), Ewald Göschl (Kulturreferent St. Georgen/Längsee) und Adolf Rausch (Vorstands der Kärntner Kulturstiftung) betrat eine Delegation aus Timau/Tischlbong die Bühne.
Tischlbong liegt im Friaul – direkt hinter dem Plöckenpass. Das Tischlbongerische ist ein alter deutscher Dialekt, der sich in der Gegend bis heute gehalten hat – mittlerweile jedoch ist die Sprache vom Aussterben bedroht. Nach einem kurzen einführenden Dokumentarfilm berichtete die Obfrau des Kulturvereins, Velia Plozner, in ihrer Sprache (die sich, wenn man aufmerksam zuhörte, gut verstehen ließ) vom Leben in der kleinen 300-Seelen-Gemeinde, das lange Zeit durch bäuerliche Arbeit geprägt gewesen war, was sich auch in der Sprache niederschlug. Heute, im Zeitalter der Digitalisierung, braucht es neue Ausdrücke, die meist dem Deustchen oder dem Italienischen entnommen werden. Um das Spracherbe weiterzugeben, wird das Tischlbongerische auch in der Schule unterrichtet – eine Aufgabe, die nicht so einfach ist, da Kinder aus den unterschiedlichsten Orten im Tischlbong zusammenkommen. Viele Jugendliche, so bericht die Vortragende, seien an der alten Sprache nicht mehr intreressiert, auch der Chor verliere zunehmend an Mitgliedern, da es vor allem die ältere Bevölkerung sei, die an der Bewahrung der Sprache ein Interesse hätte. Durch diverse kulturelle Aktivitäten versuche man jedoch, die Sprache, die vor allem mündlich überliefert werde, lebendig zu halten.
Im Anschluss an den informativen Vortrag wurde Laura Plozners Gedicht »Da Vriidn« in drei Sprachen vorgetragen, danach konnte diverses Material eingesehen werden, wie etwa eine Landkarte, welche die Sprachinseln entlang der italienisch-österreichischen Grenze vorstellt.
Mehrsprachigkeit gegen den Strom der Monokultur
Als zweiter Vortragender betrat Werner Wintersteinerer die Bühne. Der Friedensforscher erinnerte in seinem Vortrag »Mehrsprachigkeit gegen den Strom der Monokultur oder Reflexionen über eine abstrakte Liebe« daran, dass die Idee »Eine Nation – eine Sprache« gerade einmal etwas mehr als hundert Jahre alt sei. War es früher noch etwas Alltägliches, dass unterschiedlichste Sprachen nebeneinander existierten, habe die Homogenisierung der Sprache in den damals neu entstandenen Nationalstaaten dazu geführt, dass die sprachliche Vielfalt verlorenging. Sind in früheren Epochen zumeist mehr als 50% der Menschen mit mehr als nur einer Sprache aufgewachsen, verfiel man in letzten Jahrzehnten immer mehr der Idee, Mehrsprachigkeit könne der Sprachentwicklung eines Kindes schaden. Erst seit kurzem gibt es wieder Unterricht in der Muttersprache. Doch selbst heute wird noch immer von einzelnen Politiker*innen oder Pädagog*innen eingefordert, dass sich Kinder im Kindergarten oder in der Schule ausschließlich auf Deutsch miteinander unterhalten sollten – und das, obwohl längst erwiesen ist, dass der beste Grundstock für das Erlernen mehrerer Sprachen die Festigung der eigenen Muttersprache ist. Wichtig sei, so Wintersteinerer, dass Pädagog*innen den monolingualen Habitus endlich ablegten, denn die Realität sei auch heute eine mehrsprachige, immerhin hätten in Wien etwa die Hälfte der Schüler*innen eine andere Muttersprache als Deutsch. Aufgabe sei es daher, das Schulsystem dahingehend zu reformieren. Die Abschottung von Schüler*innen nichtdeutscher Muttersprache in Deutschklassen führe jedoch dazu, dass Schüler*innen sich ausgeschlossen fühlten; Integration werde durch die Absonderung also eher erschwert denn erleichtert.
Weiters ging Wintersteinerer auf die Wertigkeit der unterschiedlichen Sprachen in unserer Gesellschaft ein. Je wichtiger eine Nation in ökonomischer Hinsicht, umso wichtiger werde auch ihre Sprache empfunden. Daher werde dem Englischen wesentlich mehr Bedeutung beigemessen als etwa dem Türkischen. Auch das Urteil, ob eine Sprache wohlklingend sei, werde vielmehr durch den sozialen Stellenwert einer Sprache beeinflusst denn durch ihren tatsächlichen Klang.
Wie sehr sich Sprachen im Laufe der Zeit verändern und miteinander in Beziehung treten, erkenne man daran, dass die eine Sprache Eingang in die andere findet. So habe etwa das Türkische Einfluss auf die aktuelle Jugendsprache, und wer das Kärntnerische spreche, spreche das Slowenische ganz automatisch mit. Auch fänden immer mehr englische Wörter Eingang in unsere Hochsprache – manchmal sogar Wörter, die es in der Englischen Sprache selbst gar nicht gäbe, wie etwa das Handy.
Dass nicht perfektes Deutsch durchaus poetisch sein kann, habe Helga Glantschnig mit der Publikation »Blume ist Kind von Wiese oder Deutsch ist meine neue Zunge« (Luchterhand, 1993) bewiesen, in der Texte von Kindern nichtdeutscher Muttersprache zusammenfasst sind. Das Vorwort schrieb damals niemand Geringerer als Ernst Jandl.
Mut zur Imperfektion
Tag zwei des Symposiums stand unter dem Motto »Wort und Gewalt« und begann mit einem Vortrag von Giustina Selvelli, die über die Bewahrung des »Erbes der Minderheitensprachen aus europäischer Perspektive« referierte. Die Anthropologon und Soziolinguistin, die derzeit an der Universität in Ljubljana forscht und selbst italienische, mexikanische und levantinische Wurzeln hat, ist der Überzeugung, dass Mehrsprachigkeit eine Einstellung sei, die den Mut zur Imperfektion haben müsse. Damit knüpfte sie an den Vortrag von Wintersteiner an. Die Idee »Eine Sprache – eine Nation« habe zum Aussterben etlicher Minderheitensprachen geführt – und sie tue es heute noch. Weitere Gründe seien die Globalisierung, aber auch wirtschaftliche Interessen (mächtige Nationen haben mächtige Sprachen). Auch Hungersnöte, Kriege, Naturkatastrophen und politische Unterdrückung führten zum Aussterben von Sprachen.
Von den derzeit eta 7.000 Sprachen in der Welt würden 96% von nur 4% der Menschheit gesprochen. 83% aller
Sprachen, so Selvelli, hätten weniger als 100.000 Sprecher*innen. Mit dem Verlust der Sprache gehe auch der Verlust von Traditionen und Identität einher. Über 40% aller Sprachen seien heute vom Aussterben bedroht.
Gerade der Alpen-Adria-Raum könne als Herz der Vielsprachigkeit mit gutem Beispiel vorangehen. Denke man etwa an das ehemalige Jugoslawien, werde schnell erkennbar, dass nicht die unterschiedlichen Sprachen / Ethnien das Problem seien, sondern dass es vielmehr der Nationalismus sei. Ein gutes Beispiel für gelebte Mehrsprachigkeit sei nach wie vor die Vojvodina mit ihren sechs Amstssprachen Serbisch, Ungarisch, Slowakisch, Kroatisch, Rumänisch und Russinisch. Der Sender RTV (Radio-televizija Vojvodine) strahle seit drei Jahrzehnten auch in Romanes aus.
Wichtig sei für Heranwachsende, von den unterschiedlichen Sprachen in der eigenen Region zu wissen, meint Selvelli. Die eigene Sprache zu bewahren und offen für andere Sprachen in der Umgebung sein, diese nicht nur zuzulassen, sondern ihnen vor allem mit Neugier zu begegnen, das sei das eigentliche Ziel einer sprachpluralistischen Gesellschaft.
Sprache in einem repressiven System
Im Anschluss folgten deutschsprachige Gedichte der italienischen Lyrikerin Albertina Laura GreIm Anschluss folgten deutschsprachige Gedichte der italienischen Lyrikerin Albertina Laura Greco und nach einer kurzen Pause referierte der österreichische Autor Kobald über die Literatur der slowenischen Schriftstellerin Betra Bojetu Boeta (1946–1997), die in ihren Romanen »Filio ni dorma« (»Filio ist nicht daheim«) und »Ptičja hiša« (»Das Vogelhaus«) eine Dystopie entwarf, in der von einem repressiven System auf einer fiktiven Insel erzählt wird, wo Männer und Frauen voneinander getrennt werden und Zeugungen ausschließlich durch systematische Vergewaltigungen stattfinden. Kobald skizzierte kurz den Inhalt der beiden Romane und antwortete anschließend mit einem eigenen literarischen Beitrag darauf.
Beide Bücher von Betra Bojetu Boeta liegen im Wieser Verlag in deutscher Übersetzung auf
Dialekt und Zweisprachigkeit
Nach der Mittagspause sprach Morgenschtean-Redakteurin Margarita Puntigam-Kinstner über Dialekt und Dialektliteratur. Inhalt ihres Beitrages waren einerseits Vorturteile gegenüber dem Dialekt als minderwertige Sprache, aber auch die Vereinnahmung des Dialekts von rechts außen, der es entgegenzuwirken gilt. Danach skizzierte sie kurz die Geschichte der Dialektzeitschrift und erzählte über diverse Zugänge, den eigenen Dialekt niederzuschreiben sowie die Herausforderung, den Dialekt ins Jahr 2023 zu bringen – was auch mit der Verantwortung einhergehe, diskriminierende Ausdrücke zu entlarven und zu vermeiden.
Im Anschluss daran stellte Andrea Kerstinger die zweisprachige Bibliothek der Jungen Initiative Kroatisch Minihof (Biblioteka Mlada Inicijativa Mjenovo) vor, die sich im Gemeindehaus von Kroatisch Minihof /Mjenovo befindet. Moderatorin Elisabeth Hafner stellte der Autorin Fragen, im Anschluss las Kerstinger aus eigenen Werken.
Beide vorhin erwähnten Programmpunkte waren Ersatzprogramme für den erkrankten Schriftsteller Peter Wawerzinek, Bachmannpreisträger 2010 und Autor zahlreicher Bücher, u.a. des Romans »Rabenliebe«, dessen Film im Anschluss gezeigt wurde.
LIEVALLEEN ist ein poetischer Dokumentarfilm, in dem sich der in der DDR geborene Autor und ehemalige Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek seiner eigenen Kindheit und der einer Schwester annähert. Die Geschwister wurden im Kleinkindalter von den Eltern in der Wohnung in Rostock zurückgelassen, als diese in den Westen flüchteten. Die Kinder wurden nur durch Zufall gerettet. Während Wawerzinek selbst ins Heim und schließlich, im Alter von zehn Jahren, zu einer Pflegefamilie kam, wurde seiner Schwester, die in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht wurde, jedes Recht auf eine Familie und auch Bildung verwehrt.
Wawerzineck, der von der Existenz seiner Schwester lange nichts wusste, stellt ihr in seinem Film Fragen, und vergleicht die beiden Kindheiten miteinander.
LIEVALLEEN ist ein berührendes Zeugnis vom Aufwachsen unter prekären Verhältnissen und auch vom Gefühl des Verlassenwerdens.
Aufgrund technischer Probleme konnte der Film leider nicht bis zum Ende abgespielt werden.
Im Anschluss an die Filmvorführung gab es noch eine Podiumsduskussion, in der über die Vorträge der letzen beiden Tage sowie über Wawerzinekts Dokumentarfilm diskutiert wurde und Fragen gestellt werden konnten.
Musikalisch begleitet wurden beide Vortragstage von den Muskerinnen Laura Fortinat (Akkordeon) und Alma Portič (Violine).
Ausklang
Der Sonntag stand dann noch ganz im Zeichen der Kreaitivität: Die Teilnehmenden konnten zwischen dem Workshop »Dream Writing« der aus Santa Fe angereisten Künstlerin Victoria Rabinowe und einem Impulsspaziergang mit Martina Kirchner wählen.
Das Symposium endete nach einem gemeinsamen Mittagsessen im Stiftrestaurant.
Bericht: mpk
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FOTORÜCKBLICK
alle Fotos © Gabriele Russwurm-Biro/ KSV
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