
Axel Karner
POPANZ
Lyrik
Wieser Verlag, 2024
52 Seiten
ISBN 978-3-99029-642-4
Rezension: Christian Teissl
âIch bin nur einer von den Epigonen, / die in dem alten Haus der Sprache wohnenâ, sagt Karl Kraus in einem seiner bekanntesten Gedichte. Axel Karner könnte so etwas nicht von sich behaupten, denn weder ist er Epigone, sei es einer Richtung oder eines richtunggebenden Meisters, noch ist die Sprache fĂŒr ihn bewohnbar. Das Haus der Sprache â in dem Kosmos, den sein jĂŒngster Gedichtband aufspannt, ist es lĂ€ngst eingestĂŒrzt. Mauerreste stehen herum, Schutthaufen tĂŒrmen sich dazwischen auf, und der Dichter begibt sich in den Ruinen auf die Suche nach Spuren und Ăberresten menschlichen Lebens. Was er findet, sind GesprĂ€chsfetzen, Scherben von Worten, zerbrochene Spruchweisheiten, Sprachschutt unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher GĂŒte. Manchem Wort fehlt eine Silbe, manche stehende Phrase ist in SchrĂ€glage geraten, Hochtrabendes ist auf dieser Sprachhalde mit VulgĂ€rem untrennbar vermischt; aus dem Englischen hat es diesen oder jenen Brocken hereingeweht, aus verschiedenen heimischen Dialekten sind noch einzelne Wendungen stehen geblieben. So begegnet man hier unter einem Kirschbaum, der âeinen beschwingten kropfâ trĂ€gt, âdes sterbers birnâ, wĂ€hrend âeinige fĂŒrbeter / bei den armenspeisungen sitzenâ und ein âseilschnalzerâ âilluminiert heimwĂ€rts / ins bezahlte sauerkrautlochâ trĂ€llert.
Kaum, dass man sich angesichts solcher SprachklĂ€nge in heimatlichen Gefilden wĂ€hnt, steht man auch schon vor befremdlichen, albtraumhaften Gestalten, wie einem Innereienwirt, einem âmit beiĂender sehnsucht / baumelden vaterâ, einem âhoffnungshundsherrlâ und noch manch anderer armen Seele, die in einem verfallenden Körper gefangen ist. Eine nach der anderen, Gedicht fĂŒr Gedicht, treten sie auf, vom Arschloch bis zum Zivilfahnder alphabetisch geordnet. Da ist ein Engelmacher und ein FahnentrĂ€ger, ein Glockenzieher und ein Henker, eine Köchin und ein Kapitalist, da sind LĂŒgner und Leugner, ein Querulant und ein Scherenschleifer, ein Schneckensammler und ein TotengrĂ€ber, ein Schriftsteller und â ihm nahe verwandt â ein Watschenmann. Allerdings erscheinen alle diese Figuren weder im PortrĂ€t noch im SelbstportrĂ€t, sie haben weder Stimme noch Gesicht, weder ein erkennbares Schicksal noch eine nacherzĂ€hlbare Biografie, sie sind ganz aus Sprache gemacht, Torsi einer unbewohnbar gewordenen Welt.
Bei Axel Karner rundet sich nichts zum Bild, seine Rede ist, wie Simon Konttas in seinem erhellenden Begleitwort schreibt, ârigoros, ohne Kompromiss, schmerzhaft unmusikalischâ. Der Autor kommt uns nicht einen Millimeter entgegen, und auch dort, wo wir in seinen Titeln vertraute Milieus und zum Klischee erstarrte Figuren vermuten, begegnet uns bei nĂ€herem Hinsehen nichts als eine bis in ihren innersten Grund verstörte, verwundete und zertrĂŒmmerte Sprache.
Von dem Schriftsteller, der in dieser Galerie von Torsi auftritt, heiĂt es, er wĂŒrde âs wortblĂŒmlein sĂ€en / und s blöde nacherzĂ€hlnâ. Axel Karner macht in seinem neuen Band, in konsequenter Fortschreibung seiner bisherigen, das genaue Gegenteil: Er verweigert sich aller blöden, normierten, konformistischen NacherzĂ€hlung von Welt, sĂ€t keine WortblĂŒmlein aus, sondern legt uns eine Spur, die aus den tausend Zuschreibungen und Zumutungen dieses Welttheaters mit seinen Larven und Lemuren hinaus und hinter die Kulissen fĂŒhrt, ins Leere, wo es keine Rollen mehr gibt und keine Antwort.
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erstmals erschienen in: Literarisches Ăsterreich â Zeitschrift des Ăsterr. Schriftsteller/innenverbandes, 2024